Komponenten für Windkraft-Anlagen: Wie kann sich der Markt von Lieferengpässen erholen?

Komponenten für Windkraft-Anlagen: Wie kann sich der Markt von Lieferengpässen erholen?

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Vor der COVID-19-Pandemie waren sich Experten einig: Energie aus Offshore-Windanlagen wird konkurrenzfähig zu fossilen Energieträgern – gut für den Klimaschutz und für die Energiesicherheit. Allerdings: Aktuelle Lieferengpässe bei Komponenten bedrohen allein bei den Unternehmen Vestas und SGRE weltweit mehr als 30 Gigawatt an Kapazitäten aus erneuerbaren Energien (EE).

Richard Turner, ehemalige CEO der JDR Cables Group, bezeichnet die Herausforderungen als erheblich. Zugleich erkennt er, dass viele Unternehmen sie erstaunlich gut meistern.

“Eines ist klar: Die Pandemie hat die Business-Pläne von EE-Unternehmen ganz schön auf die Probe gestellt – und in vielen Bereichen Schwachstellen aufgedeckt, vor allem beim Thema Beschaffung.”

Sam Stopps, Manager of Client Solutions and Public Equities bei GLG, sprach mit Turner in einer Telefonkonferenz am 17. November 2021. Folgend ein Auszug aus dem Gespräch.

Herr Turner, wie hat sich COVID-19 auf die Lieferketten bei erneuerbaren Energien ausgewirkt und wie sieht es aktuell aus?

In den letzten 10 Jahren ging es vor allem darum, die Kosten für Erneuerbare Energie aus Windkraft zu senken. Entwickler von Offshore-Windkraftanlagen haben sich daher bei der Beschaffung von Komponenten oftmals zusammengetan, um bessere Preise zu verhandeln. Aber durch diese teils monopolartige Struktur hatten Lieferschwierigkeiten bei einem Anbieter Auswirkungen auf gleich mehrere Windkraftunternehmen.

Von den Lockdown-Maßnahmen weltweit waren die Unternehmen hingegen nicht so sehr betroffen. Die meisten konnten normal weiterarbeiten, da sie als systemkritisch eingestuft wurden.

Die größten Herausforderungen waren logistischer Art. Fahrer waren knapp, ebenso Schiffscontainer. Dadurch konnten Aufträge nicht abgewickelt werden – und das auf einem Markt, der sowieso schon von einem Nachfrageüberhang geprägt ist. Neubauprojekte bei Offshore-Unternehmen verzögerten sich und auch der Betrieb bestehender Windparks war teils kritisch. Aktuell ist der Mangel an Fachkräften das größte Problem.

Können Sie auf den Mangel an Kabeln für Offshore-Windkraftanlagen eingehen?

Hier muss man zwischen Mittelspannungskabeln für die Turbinen und Hochspannungskabel für die sogenannten Exportkabel unterscheiden. Anlagen mit höherer Gigawattleistung nutzen größere und daher weniger Turbinen, so dass sie technisch gesehen weniger Kabel pro Gigawatt brauchen. Dennoch steigt die Nachfrage nach Mittelspannungskabeln, einfach weil das weltweite Volumen stark zunimmt.

Noch viel schneller aber wächst die Nachfrage im Hochspannungsbereich. Ein Grund: Offshore-Anlagen werden immer weiter von der Küste entfernt gebaut. Um mit dem Land verbunden zu werden, brauchen sie die erwähnten Exportkabel. Hinzu kommt, dass man bei Entfernungen von mehr als hundert Kilometern aus Gründen der Effizienz zunehmend neuartige HVDC-Kabel einsetzt, die wiederum auch für die Hochspannungsverbindung von Ländern oder Regionen genutzt werden.

Die weltweite Nachfrage nach diesen Hochspannungskabeln steigt daher rasant. Zugleich fehlt es auf der Angebotsseite schlicht an Kapazität. Es wurde zwar investiert, aber nicht annähernd genug, um die Lücke zu schließen. Die meisten Kabelhersteller sind allein mit der Produktion von Kabeln für Unterwasserprojekte oder Landanwendungen ausgelastet.

Und nun kommt noch die steigende Nachfrage nach Offshore-Kabeln für Windkraftanlagen hinzu. Nicht zu vergessen: In den meisten Ländern müssen die Stromnetze modernisiert werden, und die Elektrifizierung der Eisenbahnen ist in vollem Gange. Für Unternehmen wird es immer schwieriger, Kabel innerhalb einer angemessenen Vorlaufzeit zu beschaffen.

Und was wir auch nicht übersehen dürfen, sind Reparatur und Instandhaltung. Mehrere Versicherungsfälle im Zusammenhang mit Kabelfehlern haben die Branche aufhorchen lassen. Mitunter werden Kabel bei der Verlegung beschädigt oder im Laufe der Zeit durch Trawler, Schiffe, Anker und ähnlichem. Kurz: Die Welt braucht Kabel und wird sie auch weiterhin brauchen, soweit ich das beurteilen kann.

Inwiefern haben diese Engpässe zu Verzögerungen bei Offshore-Windprojekten geführt und wie gehen die Akteure weltweit damit um?

Es gab Verzögerungen aus den bereits genannten Gründen. Man muss aber dazu sagen: Windparkprojekte haben lange Entwicklungs- und Bauzeiten von mehr als zehn Jahren. Die Dauer der Pandemie ist also – bis dato – zu kurz, um sich auf die Gesamtentwicklung von Windparks auszuwirken. Kurzfristige Effekte gab es aufgrund der Knappheit von Komponenten – und hier war COVID-19 ein Faktor. Aber die meisten Projektentwickler haben sich sehr gut darauf eingestellt.

Es gibt Themen, die den Unternehmen aktuell viel mehr Sorgen machen. Dazu zählen die Verfügbarkeit von Materialien ebenso wie logistische Herausforderungen. Aber auch mögliche weitere Lockdowns und die Gewinnung von Mitarbeitern sind Themen. Und natürlich die Frage, ob und in welche neuen Technologien sie investieren sollen. Insgesamt sprechen wir von einer Branche, die unglaublich schnell wächst. Die Aussichten für Entwickler, Zulieferer und Anlagenbetreiber sind unglaublich gut.

Wie sehen die aktuellen Lagerbestände bei kritischen Windkraftkomponenten aus? Gibt es Komponenten, die besonders knapp sind?

Die überwiegende Mehrheit der Komponenten für Windenergie wird auf Bestellung entwickelt und hergestellt und hat eine Lebensdauer von mehr als 15 Jahren. In dieser Zeitspanne ändern sich die Technologien mitunter dramatisch. Das heißt: Lagerhaltung ist bei Neubauteilen kein großes Thema.

Lagerung ist aber sehr wohl relevant für den Bereich Wartung und Instandhaltung. Windparks, die mehr als zehn Jahre alt sind, müssen repariert und überholt werden. Turbinen können beispielsweise auch eingelagert und später wieder genutzt werden. Derzeit entsteht ein Markt für Reparatur, Überholung, Wartung, Aufrüstung und Wiederaufbereitung von Komponenten, die dann wie ein Recyclingprodukt weiterverwendet werden können. Ich denke, dass hier gewisse Lagerkapazitäten erforderlich sein werden. Das betrifft im Übrigen auch Ersatzteile wie Rotoren, wenn es etwa zu Sturmschäden kommt.

Werden die Preise für erneuerbare Energien, vor allem für Windenergie, durch die derzeitige Versorgungskrise und die Projektverzögerungen steigen?

Die Preise für Komponenten, Rohstoffe und so ziemlich alles andere sind in letzter Zeit in die Höhe geschossen. Irgendwer muss diese Kosten natürlich am Ende bezahlen. Viele Entwickler haben Verträge zu einem Basispreis abgeschlossen, können die Materialkosten nun aber nicht mehr beeinflussen – es sei denn, es ist ihnen gelungen, die Preise vertraglich festzuschreiben – und müssen die Kostensteigerungen nun selbst schultern. Das kann Projekte verteuern und damit die Rendite beeinträchtigen.

Letztendlich glaube ich nicht, dass Angebotspreise bei Ausschreibungen wesentlich steigen werden. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass sie so schnell wie in den letzten Jahren sinken werden.

Bei schwimmenden Windkraftanlagen gehe ich davon aus, dass Kosten sinken werden. Die Technologie ist ja noch in der Demonstrationsphase, das heißt allein durch Innovationen und Skaleneffekte werden Kostensenkungen erreicht. Was die festen Offshore-Windkraftanlagen betrifft, wird der Preis meiner Meinung nach relativ konstant bleiben. Sobald sich die Weltwirtschaft und die Volkswirtschaften – vor allem in Europa – erholen, werden die Preise für Komponenten und Rohstoffe hoffentlich wieder auf ein akzeptables Niveau sinken.

Wirkt sich der derzeitige Arbeitskräftemangel auf das Angebot an Komponenten für erneuerbare Energien aus?

Ja, denn der Arbeitsmarkt für qualifizierte Arbeitskräfte in Europa ist sehr in Bewegung. Nehmen Sie nur den Brexit: Seither ist es deutlich schwieriger, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Am meisten Sorgen mache ich mir um unser Know-how im Bereich Offshore. Hier brauchen wir die Manpower, um in den nächsten zehn Jahren große Mengen an Gigawatt zu installieren. Es werden Leute gebraucht, die kompetent und qualifiziert sind, auf Offshore-Anlagen sicher zu arbeiten und Installationen durchzuführen.


Über Richard Turner

Richard Turner ist Chief Executive Officer von Bel Valves und Bel Engineering. Zuvor war er Chief Executive Officer und Chief Operating Officer der JDR Cables Group sowie Vice President of Global Manufacturing bei Technip Umbilical Systems. Richard Turner ist ein führender Experte für Unterwasserkabel und Offshore-Windkraftanlagen.

Dieser Artikel basiert auf der GLG-Telekonferenz „Renewable Energy Components Crisis“. Wenn Sie an ähnlichen Veranstaltungen teilnehmen oder mit Experten wie Richard Turner aus unserem Netzwerk von etwa 1 Million Branchenexperten sprechen möchten, kontaktieren Sie uns gerne.


Vollständige Liste der Fragen, die während der Telefonkonferenz gestellt wurden:

  • Können Sie erläutern, wie die Lieferketten für erneuerbare Energien durch COVID-19 und die aktuelle Krise der Lieferketten beeinflusst wurden?
  • Gehen Sie davon aus, dass mit der neuen Generation von Windturbinen, die entwickelt und installiert werden, die einzelnen Komponenten langlebiger werden und die Ausfallraten bei Windturbinen sinken? Oder ist damit zu rechnen, dass die Ausfallraten aufgrund der höheren Belastung der einzelnen Komponenten sogar noch steigen werden?
  • Können Sie speziell auf den Mangel an Kabeln für Offshore-Windkraftanlagen eingehen? Können Sie auch etwas zu einigen der großen Hersteller sagen und wie sie in diesem Bereich positioniert sind?
  • Wurden und werden derzeit Projekte verzögert und zurückgestellt? Wie kommen einige der bestehenden Akteure damit zurecht?
  • Gibt es bestimmte Komponenten, von denen Sie glauben, dass sie derzeit knapper sind als andere?
  • Können Sie auf die aktuelle Versorgungskrise und die Verzögerungen bei Projekten eingehen? Glauben Sie, dass dies zu einem Anstieg der Preise für erneuerbare Energien, insbesondere für Offshore-Windkraftanlagen, führen könnte, oder dass dies keine Auswirkungen auf die Preise haben wird?
  • Können Sie etwas dazu sagen, ob der derzeitige Arbeitskräftemangel Auswirkungen auf die Versorgung mit Komponenten für erneuerbare Energien hat? Ich weiß, dass viele Branchen vom Mangel an Lkw-Fahrern und auch von einem Mangel an Fachkräften betroffen sind. Könnten Sie uns mitteilen, ob sich dies speziell auf die Lieferketten für erneuerbare Energien ausgewirkt hat?

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